Vorsicht, Psychofallen!
„Da funktioniert ja gar nichts mehr. Sind die Märkte kaputt? Da müssen wir doch was tun?“
Ruck-zuck hat mein Bewusstsein alles vergessen, was früher einmal war und hält für normal, was es die letzten Monate erlebt hat. Überzogene Erwartungshaltungen sind die Folge, denn so sieht es ja gerade aus:
In diese Psychofalle tappen Anleger, die ohne vernünftige Investmentplanung anlegen. Genau genommen war 2021 ebenso „kaputt“ wie der Jahresanfang 2022 (nur anders-herum). Meine langfristige Investmentplanung mit realistischen Renditeerwartungen ermöglicht mir einen vernünftigen Soll-/ Ist-Abgleich und verhindert, dass ich mich von vorübergehenden Stimmungen zu extremen Entscheidungen verleiten lasse.
„Jetzt rutschen die Anleihen immer tiefer ins Minus. Warum habe ich die überhaupt?“
Anleihen sollen Stabilität und Berechenbarkeit ins Portfolio bringen. Wenn aktuell der Wert des Anleihenteils im Portfolio absackt, ist das kein Widerspruch.
Angenommen, ein Freund braucht 1.000 Euro, die er mir in drei Jahren zurückzahlen kann. Weil ich bei der Bank auch nichts für mein Geld bekomme, leihe ich sie ihm zinsfrei. Nun steigt der Zins auf 1% und weil ich selbst gerade Geld brauche, möchte ich meinen Schuldschein einem anderen Freund weiterverkaufen. Der sagt aber: „Bei der Bank bekomme ich jetzt 1% für mein Geld, da entgehen mir bei Deinem zinsfreien Schuldschein ja 10 Euro pro Jahr. Ich gebe Dir 970 Euro dafür, dann passt das.“ Dieses Beispiel zeigt zwei Dinge: Erstens, auch wenn der Wert einer Anleihe zwischendurch sinkt, bekommt der Anleihenhalter am Ende sein Geld wieder. Und zweitens, langfristig gesehen ist ein Absinken der Anleihenwerte sogar zu begrüßen, denn es bedeutet, dass wir perspektivisch wieder einen Zins für sicheres Geld erwarten können. Nochmal zurück zu meinem Beispiel: Angenommen ich würde meinem Freund nicht einmal, sondern jedes Jahr 1.000 Euro leihen, die ich nach drei Jahren zurückbekomme. Dann leihe ich die neuen 1.000 Euro, wenn der Bankzins steigt, auch nicht mehr zinsfrei und bekomme so, Schritt für Schritt, wieder Zinsen für mein Geld.
Das heißt, der aktuelle Kursrückgang bei Anleihen ist perspektivisch sogar etwas Erfreuliches und jedenfalls keine Unsicherheit, wie Kursschwankungen von Aktien. Er ist kalkulierbar und im Rahmen der tatsächlichen Zinsanpassungen von FED und EZB begrenzt. Womit wir bei der nächsten Falle sind:
„Hilfe, Inflation! Alles wird teurer, das Geld verliert an Wert!“
Die Mutter aller Psychofallen ist zurück. Dazu gibt es gleich mehrere Überlegungen, die alle helfen, nicht hineinzutappen.
Zuallererst wird die Inflationsrate als Maßstab für wirtschaftliches Wohlergehen ziemlich überschätzt. Denn sie ist ein Mittelwert aus allen möglichen Preisen. Zur Veranschaulichung: die mittlere Vermögensentwicklung kann ein guter Indikator dafür sein, wie es Privathaushalten geht. Wenn wir aber Warren Buffet (115 Mrd. Dollar Vermögen) und mich (0 Mrd. Dollar Vermögen) nehmen, dann sagt die mittlere Vermögensentwicklung wenig darüber aus, wie es mir geht. Das ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Genauso weit liegen Preisentwicklungen verschiedener Güter auseinander, die wir einfach in der Inflationsrate mitteln:
Mit anderen Worten, nicht alles wird teuer und auch nicht allen geht es jetzt schlecht. Darüber hinaus weist diese Bandbreite in den Preisen darauf hin, dass billiges Geld allein die Ursache nicht sein kann. Viel mehr sehen wir strukturelle Ursachen und die Inflation ist eine Begleiterscheinung weltwirtschaftlicher Transformationsprozesse. Lieferketten werden umgebaut, Energiekosten werden neu bepreist. Das hat zwei Konsequenzen. Erstens konnten historisch die starken Unternehmen Transformationsphasen mit hoher Inflation immer als Chance nutzen und erst recht die Gewinne steigern. Davon kann ich als Anleger profitieren. Und zweitens, wird diese Form der strukturellen Inflation auch durch einen noch so hohen Leitzins nicht gebremst (dadurch bekommen wir weder mehr Holz noch liefert die OPEC mehr Öl). Ein zu hoher Leitzins würde mit Sicherheit nur eines leisten: die Wirtschaft abwürgen. Das Gegenteil ist hingegen gefragt, nämlich Investitionen und Erneuerung. Insofern wird der Zins nicht in unermessliche Höhen steigen. Auch das ist aus Anlegersicht beruhigend.
„Und wenn die Crash-Propheten doch recht haben?“
Natürlich lässt sich das nie ausschließen. Deshalb reden auch alle immer wieder davon. Angst schüren verschafft Aufmerksamkeit und dieser nie verschwindende Restzweifel ist der Zipfel, an dem sie einen packen. Doch was all diese Crash-Propheten wollen, ist uns zu extremem Handeln zu animieren. Das ist immer schlecht. Dann löse ich also alle Depots auf und stecke das Geld unter die Matratze… und dann? Wann lege ich wieder an? Und was ist bis dahin passiert?
Dafür sind wir bei der Geldanlage immer breit diversifiziert – damit solche Gedanken gar nicht erst aufkommen. Der Crash trifft immer die Teile vom Markt am stärksten, wo rückwirkend betrachtet die größten Blasen waren. Andere Marktsegmente bleiben relativ stabil und gedeihen gar. Den Crash fürchten deswegen die Glücksritter unter den Anlegern zu Recht. Immer auf der Jagd nach der besten Performance, geraten sie leicht in die Blase. Als breit diversifizierter Anleger ist für mich der Crash so aufregend, wie der Nachtbus. Ich weiß, er kommt regelmäßig. Wenn ich einen verpasse, erwische ich den nächsten. In meiner Anlagestrategie ist das eingeplant. Und wenn der Crash tatsächlich kommt, werde ich ein paar kleine Anpassungen zwischen verschiedenen Teilen in meinem Portfolio machen, aber keine extremen Änderungen vornehmen. Die Diversifikation gibt mir die Sicherheit, dass sich danach alles wieder erholt und ich besser dastehen werde als davor.
Bis bald und
bleiben Sie gesund.
Christian Dagg
Der größte Feind des Anlegers ist häufig der Anleger selbst. Ein unabhängiger Berater bringt den größten Nutzen, wenn er sich zwischen den Anleger und dessen schlimmste Fehlentscheidung stellen kann. Meine Beiträge sollen wie ein Filter für vernünftige Finanzentscheidungen wirken. Ich möchte belastbare Fakten und gesunden Menschenverstand im Zusammenhang mit Finanzthemen in den Vordergrund stellen und versuchen, dies so zu erklären, dass es jeder für sich einordnen kann.
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