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der DAGG.INVEST Vermögensverwaltung

Unendliches Wirtschaftswachstum

Wir Anleger gehen davon aus, dass die Weltwirtschaft weiter wachsen wird. Die Logik: Was in der Vergangenheit funktioniert hat, wird auch in Zukunft funktionieren. - Aber unsere Welt stößt schon heute an ihre Grenzen. Ist das überhaupt möglich? Wie passt das zusammen?

Wenn wir in die Geschichte schauen, ist die Wirtschaft auf lange Sicht immer gewachsen. Und eine Grundthese unserer Anlagephilosophie ist, dass sie es auch in Zukunft immer weiter tun wird. Deswegen erwarten wir, dass auf lange Sicht der Wert unserer Investments stets wachsen wird. Denn wir investieren über Aktien und Anleihen in fast alle börsennotierten Unternehmen der Welt, d.h. in die Weltwirtschaft. Gleichzeitig sehen wir aber deutlich, dass unsere Erde bei den Ressourcen, die das Wirtschaftswachstum verschlingt, an ihre Grenzen kommt. Dringender denn je müssen wir unser Wirtschaften verändern, damit wir uns nicht die eigene Lebensgrundlage zerstören. Stehen Wirtschaftswachstum und der Erhalt unserer begrenzten Ressourcen grundsätzlich zueinander im Widerspruch?

Wenn dem so wäre, stünde unsere Anlagephilosophie im Widerspruch zu einer nach-haltigen Lebensweise auf unserer Erde. Wenn dem so wäre, würde es bedeuten, dass das, was ich mir als Anleger wünsche, ich als verantwortungsbewusster Erdenbewohner gar nicht zulassen darf. Wenn dem so wäre, würde Geldanlage, um langfristig gute Erträge zu erzielen, ein verantwortungsloses Ansinnen auf Kosten der Natur sein und moralisch verwerflich. Grund genug, zu beleuchten, ob dem tatsächlich so ist oder ob unendliches Wirtschaftswachstum auf einer endlichen Erde sinnvoll und möglich ist.

Geht unendliches Wachstum auf einer endlichen Erde?

Dass es möglich ist, macht uns die Natur seit Jahrmillionen vor. Alles, was lebt, wächst. Ständig und immer weiter. Die Erde ist endlich, aber die Natur wächst und wächst, bringt Leben bis ins ewige Eis, in die endlose Wüste und in die Tiefe der Meere. Offensichtlich ist die Begrenztheit der Erde keine Grenze für das Wachstum der Natur, die unentwegt neue Arten und Variationen hervorbringt. Die Natur ist ein komplexes System, das auf einem begrenzten Lebensraum unendliches Wachstum hervorbringt. Nach welchen Regeln dies funktionieren kann, ist der Schlüssel, auf den es ankommt. Bevor wir dieser Frage weiter nachgehen, gibt es ein einfacheres Beispiel, das hilft, den scheinbaren Widerspruch zwischen unendlichem Wachstum und einem endlichen Rahmen aufzulösen.

Manch einer wird sich noch an das unwirkliche Gefühl erinnern, als in der Schule erstmals die Zahlenmengen durchgenommen wurden und der Begriff Unendlichkeit eingeführt wurde. Wieviele Zahlen passen beispielsweise zwischen die Zahlen Null und Eins? Genau, unendlich viele, denn egal wie klein die Zahlen schon sind, es lässt sich immer eine weitere Zahl dazwischen finden. Die Grenzen sind fest abgesteckt und trotzdem lassen sich unendlich viele Zahlen innerhalb der Grenzen produzieren. Unendliches Wachstum, wenn man so will.

Schon dieses einfache Beispiel enthält einen wichtigen Hinweis für die Auflösung des Widerspruchs von Grenzen und Unendlichkeit: Will man immer mehr vom Gleichen einbauen, klappt es nicht mit den unendlich vielen Zahlen. Stattdessen muss es immer feiner, immer detaillierter werden auf dem Weg zur Unendlichkeit.

Was sagt die Wissenschaft?

Im Lauf unserer Entwicklung hat sich gezeigt, dass die wahren Zusammenhänge sich oft der einfachen Anschauung entziehen. Aber mit Hilfe der Wissenschaft lassen sich die verborgenen Gesetzmäßigkeiten entdecken und Fortschritte erzielen. Die Quantentheorie hat die diskrete und statistische Eigenschaft der Natur auf kleinster Ebene aufgezeigt und ist heute aus den Anwendungen von Elektronik, Digitaltechnologien, Laser, Mobiltelefon, Satelliten, Fernseher, Radio, Nukleartechnik, der modernen Chemie oder medizinischen Diagnostik nicht mehr wegzudenken. Die Relativitätstheorie hat den Zusammenhang von Raum und Zeit und von Masse und Energie aufgezeigt und ohne sie wären unsere allgegenwärtigen Uhren und Navigationssysteme nicht denkbar. Und tatsächlich gibt es auch eine Wissenschaft, die sich mit den Zusammenhängen komplexer, dynamischer Systeme beschäftigt und die zum Wachstum unserer globalen Marktwirtschaft hilfreiche Erkenntnisse bringt. Es ist die Chaostheorie, die seit den Sechzigerjahren aus Mathematik und Physik entstanden ist.

Sie hat entdeckt, dass komplexe, dynamische Systeme, auch wenn sie begrenzt sind, dennoch unendlich wachsen können, und zwar in die Vielfalt. Dies geschieht immer dann, wenn die Begrenztheit Teil des dynamischen Systems ist. Das bedeutet, dass die Begrenztheit wie ein Naturgesetz für alle Teile des Systems in gleicher Weise gilt und wirkt. Dann entwickelt sich das System an der Begrenzung zurück in sich selbst, in größere Vielfalt. Der Fachbegriff ist Faltung.

Ist die Begrenztheit nicht Teil des Systems und das System entwickelt sich, als gäbe es keine Grenzen, dann entsteht keine Vielfalt, sondern das System explodiert. Gibt es tatsächlich keine Grenzen, sind solche Systeme übrigens relativ langweilig. Sie dehnen sich immer weiter aus, ohne große Änderung. Vielfalt ist ein Produkt von Grenzen.

Die Chaostheorie erklärt das unendliche Wachstum der Natur. Diese ist ein komplexes, dynamisches System, das in der irdischen Begrenztheit durch Vielfalt unendlich wachsen kann. Die Begrenzung ist eingebaut. Der Evolutionsdruck, den jede Art spürt, entsteht durch die Begrenztheit und er erzeugt die unendliche Vielfalt des Lebens auf der Erde. Das einzelne Lebewesen tickt so nicht. Es tendiert zu linearem Wachstum ohne Rücksicht auf Grenzen, was regelmäßig zu Überpopulation und Krisen führt. Aber die Natur als Ganzes funktionieren nach diesen Gesetzmäßigkeiten.

Wir Menschen bewegen uns auf beiden Ebenen. Körperlich stecken wir in einer physisch linearen Welt, aber geistig sind wir unbegrenzt und können über unseren Körper hinausdenken. Wir können Systeme verstehen und entwerfen, die innerhalb von Grenzen unendliches Wachstum ermöglichen (Musik, Kunst, Mathematik, etc.) Das gibt Hoffnung, dass wir auch ein Wirtschaftssystem kreieren, das so funktioniert.

Die Marktwirtschaft ist so erfolgreich, weil sie ein komplexes, dynamisches System ist. Aus der Chaostheorie wissen wir, dass sie unendlich wachsen kann, wenn die existierenden Grenzen in das System eingebaut werden. Dann wird sie, wie jedes komplexe, dynamische System, sich immer weiter ausdifferenzieren, in unendlicher Vielfalt, und unendlich wachsen.

Aber die Chaostheorie ist auch klar in der Aussage was passiert, wenn die Grenzen nicht eingebaut, sondern ignoriert werden: dann explodiert das System. Grenzen in das System einzubauen bedeutet, sie müssen so wie Naturgesetze ausnahmslos für jeden Gültigkeit haben. Wenn unsere Marktwirtschaft unendlich wachstumsfähig sein soll, müssen sämtliche Grenzen der Erde (Klima, Ressourcen) und der Menschen (Menschenrechte) als Gesetze und Preise in die Marktwirtschaft eingebaut sein, - unverhandelbar für alle gültig.

Warum brauchen wir Wachstum?

Alternativ zur Suche nach der Lösung für unendliches Wirtschaftswachstum stellt sich die Frage, ob Wachstum überhaupt nötig ist. Tatsächlich wird dies als eine Art Fundamentalkritik an unserem Wirtschaftssystem regelmäßig in Frage gestellt. Tatsächlich aber ist „kein Wachstum“ keine Option. Das Wirtschaftssystem hat sich ja nicht irgendjemand ausgedacht, als eine Alternative von vielen Möglichkeiten. Sondern es hat sich langsam als Teil unserer Gesellschaft entwickelt. Und nicht ohne Grund ist es auf Wachstum aufgebaut. Eine Wirtschaft ohne Wachstum ist eine Schimäre, denn sie ist Teil der Gesellschaft und unsere Gesellschaft ist ein lebender, komplexer Organismus.

Wachstum ist hier die zwingende Voraussetzung für Stabilität. Ein lebendes, komplexes System kann nur stabil sein, wenn alles sich bewegen und entwickeln kann. Stabilität ist nur möglich als Aufeinanderfolge dynamischer Gleichgewichte, bei denen alles auf alles reagiert und sich fortentwickelt. Ein statisches Gleichgewicht, wie wir es von der Tasse auf dem Tisch kennen (alles ist fest, nichts bewegt sich) funktioniert nicht. Das kennen wir aus der biologischen Anschauung. Wenn in einem Organismus alle Parameter feststehen und sich absolut nichts mehr bewegt, ist der Organismus tot.

Und wir kennen es aus der gesellschaftlichen Anschauung. Gesellschaft muss sich stetig entwickeln können. Einerseits, weil wir mit unseren gesellschaftlichen Errungenschaften noch lange nicht am Ende sind. Andererseits, weil es ein grund-menschliches Bedürfnis ist, das sich in unseren auf die Zukunft gerichteten Emotionen zeigt, wie Hoffnung, Glaube, Ehrgeiz, Kreativität. Menschheit ist Entwicklung und braucht daher Wachstum. Lösungsvorschläge, die einen stabilen Endzustand anstreben oder auf gesellschaftlicher Ebene in Zyklen denken*, führen zu Erstarrung und Entmündigung und ultimativ zu Instabilität, Scheitern und Zerfall. Die gesellschaftliche Alternative lautet also nicht: Wachstum oder kein Wachstum. Sie lautet: zerstörerisches Wachstum oder unendliches Wachstum.

Fazit

Die genauere Beschäftigung zeigt, dass unsere Grundthese ewigen Wirtschaftswachstums mehr als der fromme Wunsch eines kapitalistisch orientierten Anlegers ist. Viel mehr sind wir damit auf einer Linie mit dem Streben nach gesellschaftlicher Stabilität und Fortschritt.

Für uns Anleger bedeutet dies also einerseits Entwarnung: es ist ethisch und moralisch vollkommen in Ordnung, Geldanlage zu betreiben, mit dem Ziel langfristig gute Erträge zu erzielen.

Andererseits bedeutet es aber auch: Alarmstufe rot! Denn wie wir gesehen haben, müssen als Voraussetzung für unendliches Wachstum, die Begrenzungen fest in das System eingebaut sein. Das ist bei unserem aktuellen Wirtschaftssystem an allen Ecken und Enden noch nicht der Fall. Hier gibt es viel zu tun und die Zeit drängt.

Nicht alles, was derzeit unter der Überschrift Nachhaltigkeit an den Start geht, ist hierbei der richtige Weg. Denn viel zu oft wird die Vorschrift aus der Chaostheorie „unverhandelbar, für alle gültig,“ für den Einbau der Begrenzungen in das System missachtet.

Viel gewonnen wäre, wenn alle Beteiligten sich von den Erkenntnissen der Chaostheorie leiten ließen. Wenn diejenigen, die sich hauptsächlich um den Einbau der Begrenzungen kümmern, daran denken, dass es nicht darum geht, Wachstum zu bekämpfen, sondern allgemeingültige Grenzen zu setzen. Und wenn diejenigen, die Begrenzungen als persönliche Einschränkungen empfinden, daran denken, dass es nicht darum geht, ihren Wohlstand zu beschneiden, sondern unendliches Wachstum zu ermöglichen.

 

 

*) Nicht zu verwechseln mit dem Kreislaufdenken auf Ressourcenebene, welches unabdingbar ist.

Christian Dagg

Der größte Feind des Anlegers ist häufig der Anleger selbst. Ein unabhängiger Berater bringt den größten Nutzen, wenn er sich zwischen den Anleger und dessen schlimmste Fehlentscheidung stellen kann. Meine Beiträge sollen wie ein Filter für vernünftige Finanzentscheidungen wirken. Ich möchte belastbare Fakten und gesunden Menschenverstand im Zusammenhang mit Finanzthemen in den Vordergrund stellen und versuchen, dies so zu erklären, dass es jeder für sich einordnen kann.

Für Anregungen und Kommentare bin ich immer offen.

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