Geld ist nicht das Problem
Tatsächlich ist die Antwort auf die Frage: „Was ist überhaupt Geld?” ein entscheidender Baustein, wenn man die Zusammenhänge der Wirtschaft (und Finanzen) begreifen möchte. Ein neues Verständnis setzt sich hier durch, so fundamental wie seinerzeit die Erkenntnis, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Auch damals setzte sich die neue Einsicht nur langsam durch und stieß auf Widerstand. Aber weil sich die beobachteten Phänomene mit dieser Einsicht viel besser erklären ließen, wurde sie schließlich zum neuen Selbstverständnis.
Heute herrscht die Idee vor, Geld sei so etwas wie eine Ware mit besonderen Eigenschaften. Das ist eine mittelalterliche Vorstellung. Damals war Geld eine besonders normierte Ware, die sich als universelles Tauschmittel verwenden ließ. Im Mittelalter besaßen Münzen den Wert des Edelmetalls, aus dem sie bestanden. Das hat aber nichts mehr mit unserem Geld von heute zu tun, das frei vom Materialwert einer geprägten Münze existiert. Geld ist das Lebensblut der Wirtschaft, der Wirtschaftskreislauf (s. Bild) funktioniert nur mit Geld. Doch woher kommt es und was ist es?
Wir leben nicht mehr im Feudalismus. Unser vorherrschendes System ist der Kapitalismus, d.h. die Idee freien Eigentums und der Steuerung von Produktion und Konsum über den Markt. Und das vorherrschende Staatssystem ist der souveräne Staat mit einer demokratisch gewählten Regierung.
Die gewählten Regierungen haben das Ziel, dass es allen gut geht. Und dafür muss die Wirtschaft laufen, damit alle gute Arbeit haben und sich Gesundheit, Bildung und Teilhabe leisten können. Im Schaubild sind das die Ausgaben und Einkommen in der Mitte, die ausreichend vorhanden sein müssen, um die Wirtschaftsproduktion nachzufragen. Die Werkzeuge, die den Regierungen im Rahmen ihrer Wirtschaftspolitik zur Verfügung stehen, um diesen Zustand zu erreichen, sind Geldpolitik, Fiskalpolitik und Handelspolitik. Unterschiedliche Vorstellungen über die Funktionsweise von Geld führen hier zu unterschiedlichem Handeln.
Grundsätzlich entsteht Geld, wenn Privathaushalte oder Unternehmen einen Kredit aufnehmen (das sog. Giralgeld) oder wenn der Staat seine Schulden erhöht (das Bargeld). In einer Welt ohne Schulden gibt es nur die Dinge, die wir besitzen, aber kein Geld. Erst wenn jemand Schulden macht, kommt Geld ins System. Das ist schon einmal eine erste wichtige Erkenntnis. Schulden sind nicht außergewöhnlich, sondern Teil eines Normalzustands unserer Gesellschaft 1. Doch wie funktioniert das genau, mit welchen Auswirkungen?
Wenn die vorherrschende Meinung davon ausgeht, dass Geld eine Ware ist, dann ist die Geldmenge eine wichtige Größe, da Angebot und Nachfrage über den Wert von Waren entscheiden. Man hat also Sorge, dass zu viel Geld da ist, weil dann sein Wert schrumpf (Inflation entsteht). Mit diesem Selbstverständnis wird eine Volkswirtschaft also immer bemüht sein, bei allen Maßnahmen der Wirtschaftspolitik auch die Geldmenge zu kontrollieren. Zum Ankurbeln der Wirtschaft wird sie vor allem auf die Geldpolitik setzen. Und deren wichtigstes Instrument ist der Leitzins.
Mit niedrigen Zinsen wird man Unternehmen und Privathaushalte animieren, Kredite aufzunehmen, damit das so entstehende Geld Ausgaben und Einkommen der Wirtschaft erhöht. Man geht davon aus, dass man dies so lange betreiben kann, wie die Inflation unter einem gewünschten Wert bleibt. Ist dieser erreicht, geht man davon aus, die Zinsen zu erhöhen und dadurch Geldmenge und Überhitzung der Wirtschaft wieder angemessen zu drosseln. Die Staatsverschuldung wird man versuchen niedrig zu halten, weil Wirtschaftswachstum auf Staatsschulden wie Wachstum auf Pump empfunden wird. Zudem sieht man die Gefahr, wegen seiner Schulden werde der Staat die Zinsen nicht mehr erhöhen und eine Inflation könne dann ausufern.
Nach diesem Verständnis wurde und wird seit Jahren agiert, nur scheint die Realität eine andere zu sein und weder Banken- noch Eurokrise lassen sich so erklären. Und auch nicht die anhaltend niedrige Inflation, trotzdem die Märkte seit Jahren mit Geld geflutet werden.
Tatsächlich scheint ein anderes Verständnis von Geld die Realität besser zu treffen. Dieses erkennt, dass Geld kein Tauschmittel à la Ware ist, sondern ein Zahlungsversprechen, was ja ein anderes Wort für Schulden ist. Damit hängt der Wert des Geldes (und die Inflation) nicht von der Menge des Geldes ab, sondern von der realen Welt: vom Wert der realen Sicherheiten, die dem Zahlungsversprechen hinterlegt sind. Beim Giralgeld sind dies die Sicherheiten, die die Bank für die Kreditgewährung verlangt und beim Bargeld ist es die Sicherheit, dass die Volkswirtschaft genügend reale Werte besitzt, die Staatsschulden zu besichern.
Das ist eine fundamental andere Sicht. Wenn eine Volkswirtschaft von diesem Selbstverständnis getragen ist, führt das zu grundsätzlich anderem Handeln.
Geld ist also der Wert von realen Assets, der von diesen (wie im Comic die Seelen von den Körpern der Zeichentrickfiguren) abgelöst wird und in Form von Zahlungsversprechen für den Zahlungsverkehr (Handel und Wirtschaft) genutzt werden kann.
Das hat Konsequenzen:
- Inflation hat dann nichts mit der Geldmenge zu tun. Die Geldmenge ist nicht begrenzt. Solange die realen Assets (inkl. Volkswirtschaft) werthaltiger sind, als das in Umlauf befindliche Geld ist keine Abwertung zu befürchten.
- Inflation entsteht, wenn in der realen Welt eine Knappheit von Gütern entsteht und/oder wenn die Löhne und Gehälter stark steigen.
- Ein souveräner Staat muss dann keine Steuern einnehmen, um Ausgaben zu tätigen, er kann einfach „Geld drucken”. Dies geschieht, indem er Waren oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt und die Zentralbank durch Ausgabe von Staatsanleihen die Rechnung bezahlt. Weil der souveräne Staat das Monopol auf die Steuern hat und er Steuerzahlungen nur in der eigenen Währung akzeptiert, benötigen alle Privathaushalte und Unternehmen diese Währung. Sie bekommen sie, wenn der Staat Ausgaben tätigt und diese mit der eigenen Währung bezahlt. Man kann auch sagen: Bargeld sind Steuergutschriften, mit denen die Bürger künftige Steuern begleichen können.
- Souveräne Staaten können nicht pleitegehen. Solange ein Staat sich nur in der eigenen Währung verschuldet, kann er sich theoretisch unendlich verschulden. Praktisch scheinen aber diese Grenzen zu bestehen: (1) Die dadurch entstehende Wirtschaftsaktivität im Land führt zu so hohen Löhnen und Gehältern, dass die Konsumnachfrage die vorhandenen Waren übersteigt und es zu Inflation kommt. (2) Durch die Staatsausgaben wird vor allem ein dauerhafter Importüberschuss finanziert (oder unsinnige Ausgaben, bspw. Kriege) und das Ausland schätzt den Wert der importierten Waren höher als das Zahlungspotential der Volkswirtschaft. Dann wird die Währung gegenüber den ausländischen Währungen abgewertet, was ebenfalls zu Inflation im Land durch Verteuerung der Importe führt. (3) Die laufenden Zinszahlungen belasten die laufenden Steuereinnahmen so stark, dass der laufende Staatsbetrieb belastet wird.
- Die Inflation lässt sich dann durch Geldpolitik, insbesondere den Zins, nicht steuern. Was der Zins steuert sind die Zukunftspräferenzen der Menschen und damit der Wert alles Investmentvermögens und aller Immobilien. (Wie sich der Zins auf den Vermögenswert auswirkt, illustriert diese Überlegung: Eine Wohnung bringt 1.000 Euro Netto-Mieteinnahmen pro Jahr. Bei einem Zins von 10% entspricht das den Zinsen, die Sie auf 10.000 Euro erhalten. Entsprechend wäre das der Preis, den Sie für die Wohnung bereit sind zu zahlen. Bei einem Zins von 1% brauchen Sie 100.000 Euro für die gleichen Zinseinnahmen. Durch die Zinssenkung steigt der Wert der Wohnung für Sie auf diesen Betrag.)
- Überschuldete Privathaushalte und Unternehmen bleiben weiterhin ein Problem, ein verschuldeter Staat, solange die Zinsen und die Inflation niedrig sind, ist kein Problem.
Eine Volkswirtschaft, die diese Zusammenhänge sieht, wird Wirtschaftspolitik vor allem mit den Mitteln der Fiskalpolitik betreiben, d.h. über Staatsausgaben und Steuern, anstatt durch Geldpolitik.
Sie wird alle Ausgaben tätigen, die nachhaltig eine Verbesserung für die Wirtschaft und die Menschen des Landes bringen. Denn es gibt für den Staat für solche Ausgaben keine Budgetbegrenzung. Selbstverständlich geht auch bei dieser Sichtweise eine große Verantwortung mit der Entscheidung für die richtigen Ausgaben einher, denn bei Weitem nicht alles ist nachhaltig und sinnvoll, wofür der Staat Geld ausgeben kann. Das ist die Frage der Werthaltigkeit der Staatsausgaben.
Ein gerne angebrachtes Missverständnis an solchem Agieren ist, wenn der Staat sich immer weiter verschulde, würde auf Kosten künftiger Generationen gewirtschaftet. Das ist nicht wahr. Denn zu jeder Staatsschuld gehört ja in gleicher Höhe die Staatsanleihe, die entweder direkt oder als Teil des Deckungskapitals einer Versicherung gleichzeitig auf der Habenseite bei den Privathaushalten ankommt. Staatsanleihen sind Vermögensgegenstände. Und so sind Schulden und Vermögen gleichzeitig vorhanden und werden auch gleichzeitig vererbt. Staatsschulden per se sind also keine Last für nächste Generationen, denn die bekommt immer auch das Vermögen in Form der Anleihen. Trotzdem kann es ein gutes oder ein schlechtes Geschäft für künftige Generationen sein. Das ist das Thema für den nächsten Brief.
Heute ging es mir darum, dass wir uns möglicherweise mit der Idee vertraut machen sollten, dass unser Geld keine Ware, sondern ein Zahlungsversprechen ist, und dass souveräne Staaten als Emittenten von Bargeld besondere Akteure in diesem System sind mit besonderen Möglichkeiten aber auch mit einer besonderen Verantwortung. Vor dieser drücken sich Politiker gerne mit den Argumenten einer überholten Theorie („schwarze Null”, „es ist kein Geld da”) und Anleger, die das nicht verstehen, machen sich an der falschen Stelle Sorgen und setzen womöglich falsche Prioritäten.
Um die Frage im Titel aufzugreifen: Geld scheint in der aktuellen Situation nicht das Problem zu sein. Staaten sind andere Akteure als Unternehmen und Privathaushalte und können (und müssen) in solchen Krisen entsprechend auch anders agieren. Das Problem scheint eher zu sein, dass angesichts der vielfältigen Herausforderungen diese herausragende Rolle und Verantwortung des modernen Staats nicht akzeptiert oder nicht verstanden wird und an überholten Geld- und Wirtschaftstheorien festgehalten wird. Ganz zu schweigen von den unlauteren Egoismen, die wie in jeder Krise auch jetzt mit einfachen Floskeln („Wer soll das bezahlen?”, „das führt zu einer riesigen Geldentwertung…”, etc.) schlecht informierte Anleger ängstigen und zu unsinnigen Anlageprodukten überreden.
Ich denke, es lohnt sich, bei den Weiterentwicklungen im Verständnis unserer wirtschaftlichen Zusammenhänge am Ball zu bleiben, weil wir uns dann als Bürger und Anleger klüger verhalten können. Viele der vergangenen wirtschaftlichen Krisen und Entwicklungen lassen sich mit dem neuen Verständnis über Geld besser erklären und verstehen. Und nicht zuletzt ist es so, dass die neue Regierung der größten Volkswirtschaft der Welt (USA), offensichtlich die geschilderten Einsichten übernimmt und diesen Weg gehen wird. Das sollten wir nicht ignorieren, denn das hat auch für Europa Konsequenzen – mehr dazu im nächsten Kundenbrief.
Geld, die "Seele" der realen Wirtschaft (die angesprochene Comic-Visualisierung)
Christian Dagg
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