Erleben wir gerade eine Börsenblase?
Vielleicht vorab: Eine Blase ist wirklich der Super-GAU an den Kapitalmärkten und nicht zu verwechseln mit Übertreibungen, Überbewertungen, Booms oder spekulativen Exzessen. Von einer Blase sprechen wir, wenn die Preisübertreibung an den Kapitalmärkten solche Ausmaße annimmt, dass:
- Kein vernünftiges zukünftiges Ergebnis die vorherrschenden Preise mehr rechtfertigen kann.
- Das Platzen der Blase Kurseinbrüche von 50-90 Prozent im Hauptindex und häufig eine globale Rezession zur Folge hat.
Das sollte man sich als Erstes in Erinnerung rufen, wenn man in die Debatte über Blasen einsteigen möchte; eine Debatte, die seit einigen Wochen immer mehr Raum in den Nachrichten und Sozialen Medien einnimmt.
Auch hier hilft, wie so oft, der Blick in die Geschichte. Der zeigt, dass echte Blasen relativ selten sind. Historische Höhepunkte belegen: Blasen treten nur alle paar Jahrzehnte auf:
- Die Tulpenmanie (1637, Niederlande)
- Die Mississippi- und South-Sea-Blasen (1720, Großbritannien und Frankreich)
- Die Eisenbahnmanie (1840er Jahre, Großbritannien)
- Der Florida-Landboom (1920er Jahre, USA)
- Der US-Börsencrash (1929)
- Die japanische Vermögensblase (1989)
- Die Dotcom-Blase (2000)
- Die globale Immobilien- und Kreditblase (2008-09)
Dazwischen gab es viele Übertreibungen und Korrekturen, die schmerzhaft sein können und die fast jährlich vorkommen – die aber nicht dazu führen, dass alles auseinanderbricht. Auch spekulative Exzesse enden nicht immer in einer Blase, wie folgende Beispiele zeigen (bei Krypto und KI steht das endgültige Ergebnis noch aus):
- Die Anleihen-Hausse (1980-2022)
- Der Bitcoin- und Krypto-Boom (2015–heute)
- Die SPAC- und Meme-Stock-Manie (2020–2022)
- Die ESG-/Green-Tech-Euphorie (2018–21)
- Marktkonzentration Techfirmen (2020er Jahre)
- Künstliche Intelligenz (KI) (2024–heute)
Ein weiterer historischer Befund: Weder die Massen noch Medien noch Märkte haben jemals eine Blase korrekt vorhergesehen. Blasen entstehen nur, wenn (fast) alle das Gleiche tun. Doch offenbar klaffen Reden und Handeln oft weit auseinander. Wenn alle über eine Blase reden, ist das historisch kein Hinweis darauf, dass eine bevorsteht und umgekehrt.
Doch die Geschichte zeigt noch mehr. Im Nachhinein lassen sich Muster erkennen, die allen Blasen gemeinsam waren. Diese Muster ergeben eine Art Checkliste, mit der sich die aktuelle Lage abgleichen lässt. Insgesamt identifiziere ich fünfzehn Kriterien, die mir helfen einzuschätzen, wie nah wir einer Blase heute wirklich sind:
1. Bewertungsniveau:
Märkte sind hoch bewertet, aber nicht auf extremen historischen Niveaus (wie Japan 1989 oder Dotcom 2000). Es gibt Übertreibungen in bestimmten Sektoren (z.B. KI), aber insgesamt noch unter historischen Extremwerten.
2. Deutlich erhöhte Renditen:
Die letzten Jahre zeigen überdurchschnittliche Renditen (2023-24: +20% p.a.), was auf eine Überhitzung hindeuten kann.
3. Übermäßige Hebelwirkung:
2X/3X-gehebelte ETFs und Margin Debt sind vorhanden, aber nicht auf Rekordniveau. Private Leverage (z.B. im Immobiliensektor, Private Credit) nimmt zu.
4. Neue oder populäre Finanzprodukte:
Private Credit, Alts und ETFs sind populär, aber kein „neues“ Finanzprodukt mit systemweitem Risiko wie einst CDOs (Collateralized Debt Obligations).
5. Ausweitung der Kreditvergabe:
Keine massive Ausweitung; Kreditvergabe bleibt eher restriktiv.
6. Anstieg des Handelsvolumens:
Handelsvolumen ist deutlich über dem historischen Durchschnitt, was für Spekulation spricht.
7. Fehlanreize und exzessive Risikobereitschaft:
Meme-Aktien, Altcoins, zahlreiche thematische ETFs sind populär, das sind Anzeichen für erhöhte Risikobereitschaft.
8. Fadenscheinige Rechtfertigungen:
Zunahme von „neuen Paradigmen“-Argumenten („KI verändert alles“, „This time is different“).
9. Kreditspreads:
Sehr eng, ein Hinweis auf mögliche Unterschätzung von Risiken.
10. Kreditstandards:
Bleiben streng, insbesondere nach der Finanzkrise 2008. Keine Lockerung
wie damals.
11. Kreditausfallraten:
Insgesamt niedrig, aber Anstieg bei risikoreichen Segmenten (z.B.
Autokredite, Kreditkarten).
12. Ungewöhnlich geringe Volatilität:
VIX bei ca. 20 – weder extreme Sorglosigkeit noch große Nervosität.
13. Konträre Indikatoren:
Kleinanleger outperformen Profis in einigen Segmenten – ein klassisches Spätphasen-Symptom von Blasen.
14. Medienhype / öffentliche Euphorie:
Starke KI-Berichterstattung, Meme-Trading, aber noch keine Euphorie wie 1999/2000.
15. IPO-Boom / spekulative Neuemissionen:
Kein extremer IPO-Boom, aber viele KI-bezogene Börsengänge und SPACs (Mantelgesellschaften für schnelle Börsengänge).
Fazit
Mehrere Kriterien deuten aktuell auf eine Überhitzung hin (u.a. hohe Renditen, Handelsvolumen, Risikobereitschaft, enge Spreads, konträre Indikatoren). Allerdings fehlen klassische Blasensymptome wie extreme Bewertungen, massive Kreditexpansion oder ein spektakulärer IPO- bzw. Medienhype. Die Gesamtlage ist also ambivalent – Warnsignale sind da, aber eine klassische Blase ist (noch) nicht eindeutig zu erkennen. Ein vernünftiger Umgang damit wäre, die Renditeerwartungen zu dämpfen, statt mit einem Zusammenbruch zu rechnen.
Was auch immer heute an den Börsen passiert, ist schon einmal passiert und wird wieder passieren. Das ist die Konstante der menschlichen Natur, die sich nie ändert. Menschen sind aufgeregt, niedergeschlagen, zu euphorisch, zu pessimistisch und erleben jede nur denkbare Gefühlslage.
Der Unterschied zur Vergangenheit: Heute teilen Millionen von Menschen diese Gefühle täglich mit der ganzen Welt. Für mich bedeutet das, mehr denn je gilt, was der erfahrende Finanzleher Nick Murray sagt: „Pessimismus klingt klug, aber Optimismus ist klug und bringt Geld.“
Sie können versuchen, Hochs und Tiefs und Blasen zu erkennen, wenn Sie möchten. Viel Glück dabei, denn es wird von Tag zu Tag schwieriger.
Gerne stehe ich Ihnen für ein persönliches Gespräch zur Verfügung, um Ihre individuellen Gedanken zu besprechen.
Bleiben Sie optimistisch – und immer investiert!
Christian Dagg
Der größte Feind des Anlegers ist häufig der Anleger selbst. Ein unabhängiger Berater bringt den größten Nutzen, wenn er sich zwischen den Anleger und dessen schlimmste Fehlentscheidung stellen kann. Meine Beiträge sollen wie ein Filter für vernünftige Finanzentscheidungen wirken. Ich möchte belastbare Fakten und gesunden Menschenverstand im Zusammenhang mit Finanzthemen in den Vordergrund stellen und versuchen, dies so zu erklären, dass es jeder für sich einordnen kann.
Für Anregungen und Kommentare bin ich immer offen.
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