Die Zentralbanken und die Inflation
Preise sind der zentrale Mechanismus der Marktwirtschaft. Weil sich Preise im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage ändern, sorgen sie dafür, dass Produktionsmittel dorthin gelenkt werden, wo es sinnvoll ist. Dabei gehen Preise sowohl nach oben wie auch nach unten, je nach Produkt und Nachfrage. Wenn in einem Bereich alle Preise steigen, spricht man von partieller Inflation. So haben wir in den letzten Jahren beispielsweise eine Inflation der Immobilienpreise gesehen. Für Anleger ist schlecht, wenn diese überraschend kommt, denn Vermögenswerte verkörpern Erwartungen von Gewinnen in der Zukunft, die dann plötzlich geringer sind. Erwartete Inflation ist eingepreist.
Allgemeine Inflation herrscht, wenn in einer Wirtschaft alle Preise steigen, d.h. alle Waren und alle Gehälter. Diese kann sich selbst verstärken und zum Selbstläufer werden. Das ist für die Wirtschaft schlecht, denn dann wird rentables Wirtschaften nicht mehr planbar und die Wirtschaftsleistung bricht ein. Deshalb haben die Zentralbanken den Auftrag, die Geldstabilität zu sichern. In der öffentlichen Diskussion ist nun viel über die Zinserhöhungen der Zentralbanken zu lesen. Das hat zunächst direkt nichts mit Inflation zu tun. Der Zusammenhang ist wie folgt:
Mit ihren Zinserhöhungen oder Zinssignalen sorgen die Zentralbanken für ein teureres Finanzumfeld für die Unternehmen. Das sorgt bei diesen für höhere Betriebskosten und Druck zu Kosteneinsparungen. Diesen geben die Unternehmen über Enthaltsamkeit bei Lohnanpassungen und Stellenkürzungen an den Arbeitsmarkt weiter, so dass weniger Geld bei den Haushaltseinkommen in den Taschen der Konsumenten landet. Das reduziert die Nachfrage und damit den Preisdruck und damit den Anstieg der Verbraucherpreise (Inflation).
Die Inflationssteuerung der Zentralbanken erfolgt also über den Arbeitsmarkt. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, weshalb die amerikanische Notenbank FED neben der Geldstabilität auch den Auftrag zur Stützung der Arbeitsmarktstabilität hat. Die EZB hat dies nicht, sondern ist nur für die Geld- und Finanzmarktstabilität zuständig, was erklärt, weshalb es in der EU regelmäßig zu Spannungen zwischen der Geldpolitik der EZB und der Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten kommt.
Zurück zur Inflation: Wie oben dargestellt, sind die Werkzeuge der Zentralbanken darauf ausgerichtet, eine allgemeine Inflation aufgrund einer „überhitzten“ Wirtschaft (gekennzeichnet durch starke Nachfrage, ausgelastete Unternehmen, Vollbeschäftigung) zu drosseln. Der in Kauf genommene Preis der Inflationsbekämpfung durch die Zentralbanken sind kontrolliert weniger Wachstum und weniger Arbeitsplätze, damit das System vor dem Kollaps durch galoppierende Inflation bewahrt wird. Mit anderen Worten: die Maßnahmen der Zentralbanken führen der Wirtschaft dosierten Schmerz zu, damit ein unkontrollierbarer Schaden verhindert wird.
Aus Anlegersicht ist es wünschenswert, dass diese Schmerzdosis seitens der Zentralbanken maximal so groß, wie gerade nötig gehalten wird. Denn alles Darüberhinausgehende ist vermeidbarer Schaden und Verschwendung von Werten.
Ein Aspekt, der hierbei nicht vergessen werden darf, ist dass das oben beschriebene Handeln der einzelnen Zentralbanken nicht isoliert voneinander wirkt. Mittels Auf- oder Abwertung der gegenseitigen Währungen übertragen sich beispielsweise die Zinsanhebungen der FED auf den Euroraum und andere Regionen. Erhöht die EZB den Zins im Gegenzug nicht, wertet der Euro ab. Das führt zu teureren Importen und zusätzlicher Inflation, die quasi importiert wird. Maßnahmen der FED, mit der zentralen Stellung des Dollars, setzen also ohnehin weltweit die Zentralbanken unter Zugzwang und schlagen auch auf deren Wirtschaftsregionen durch.
Aber nicht überall herrscht aktuell so eindeutig eine allgemeine Inflation vor wie in den USA, wo entsprechende Maßnahmen der Zentralbank erforderlich sind. Gerade bei uns im Euroraum finden wir stattdessen eine einseitige Verteuerung von Energie und Nahrungsmitteln, ohne starke Lohnsteigerungen und mit einer Wirtschaft, die schon mit einem Bein in der Rezession (d.h. Wirtschaftskrise) steckt. Es wäre wünschenswert, wenn dies erkannt und verantwortungsvoll gemanagt wird. Ich habe den Eindruck, dass viel zu häufig in der öffentlichen Diskussion Warnungen vor der Rezession mit Warnungen vor der Inflation Hand in Hand gehen, und als Forderung neben der Zinserhöhung auch noch der Abbau von Staatsverschuldung hinzukommt. Als wäre die Bekämpfung der Inflation das Rezept zur Vermeidung der Wirtschaftskrise. Dabei ist das Gegenteil der Fall: übertreiben wir es mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation, geben wir der ohnehin schon angeschlagenen Wirtschaft den Rest. Als Anleger wünsche ich mir den geringstmöglichen vermeidbaren Schaden. Und wenn die Möglichkeit besteht, dass die Maßnahmen der FED der Welt schon mehr als genug Anti-Inflationsmedizin verabreichen, kann ich nur hoffen, dass europäische Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik sich nicht durch Inflationsthemen ablenken lässt, sondern sich hinreichend um eine Lösung für den europäischen Energiemarkt und die Standortattraktivität kümmern.
Aus Anlegersicht gilt: Wirtschaftswachstum kann auch bei höheren Inflationsraten funktionieren und gute reale Renditen abwerfen. Aber nicht, wenn international alle (Bürger, Unternehmen und Staaten mit ihren Zentralbanken) sparen und keiner mehr Geld ausgibt. Dann liegt auch die Wirtschaft am Boden. Das wäre dann auch für Anleger eine bittere Durststrecke. Dann bleibt nur zu hoffen, dass nicht alle Regionen den gleichen Fehler begehen, weswegen wir – wie immer – gut diversifiziert bleiben.
Christian Dagg
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