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der DAGG.INVEST Vermögensverwaltung

Sind Staatsausgaben das Problem?

von Christian Dagg
  • Stand der Wissenschaft

Im ersten Teil meiner Grundlagenrecherche, letzten Monat, hat sich gezeigt, dass private Schulden und Staatsschulden verschiedene Dinge sind und Staatsschulden nicht per se abzulehnen, möglicherweise sogar gar kein Problem sind. Diese Sicht setzt sich jedenfalls in Amerika und in einigen Wirtschaftskreisen durch. (Falls Sie den letzten Kundenbrief nicht gelesen haben, dort können Sie das nachlesen.)

Dennoch sind die enormen Geldbeträge, mit denen die Staaten besonders in der aktuellen Krise agieren beunruhigend. Die Frage: „Kann das gut gehen?”

Es fällt schwer bei den großen Zahlen, die durch den Raum fliegen, die Orientierung zu behalten. Die mangelnde Transparenz und ein fehlender, einfacher Bewertungsmaßstab für die Ausgaben, erschweren die Antwort auf die Frage. Schaut man sich hierzu an, wie dieses Thema aktuell diskutiert wird, dann scheint es ein grundsätzliches Ärgernis beim Reden über Staatsfinanzen zu geben, plus eine Problematik der EU im Speziellen.

Die EU-Problematik ist, dass wir uns global in eine Zeit bewegen, in der sich der Gedanke durchsetzt, dass souveränen Staaten annähernd unbegrenzt Geld zur Verfügung steht, weil sie an Schulden in der eigenen Währung nicht Pleite gehen können. Ausgerechnet in diesem Umfeld haben wir mit der EU ein Konstrukt geschaffen, in dem die Mitgliedstaaten keine eigene Währung besitzen. Sie können also kein eigenes Geld drucken und daher grundsätzlich pleitegehen. Die unbegrenzten Anleihenkäufe der EZB sind eine zwangsläufige Folge, ein faktisches Aufweichen dieser Fehlkonstruktion. Dieses reagierende Durchwursteln könnte jedoch das Schlechteste von beiden Welten sein. Im letzten Brief besprochen, wirkt Geldpolitik asymmetrisch: niedrige Zinsen führen nicht zwingend zu Wirtschaftswachstum, zu hohe würgen es aber ab. Und ohne die Mittel der Fiskalpolitik sind Geldmenge und Wirtschaftsleistung nicht steuerbar. Eine EU mit zentralisierter Geldpolitik aber nationaler Fiskalpolitik wird also vor immer größere Herausforderungen gestellt. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass absehbar entweder auf europäische Ebene Möglichkeiten der Fiskalpolitik geschaffen werden (auch die Möglichkeit Anleihen auszugeben und Steuern zu erheben) und/oder weitere Nationen, welche dies nicht möchten aus der EU austreten werden.

Egal für welchen Weg man sich entscheidet, wichtig scheint, dass diese Aufgabe angegangen wird und nicht durch Missverständnisse überlagert und hinausgeschoben wird. Durch Corona verschärft, benötigen nun mal alle EU-Länder Geld, um ihre Wirtschaft anzukurbeln. Dieses Geld kann nur aus den Staatshaushalten kommen, die sich dafür verschulden können müssen. Falsch verstandene Austeritätspolitik erhöht Arbeitslosigkeit und populistische Sprengkraft in den einzelnen Staaten. Genauso lenken aus der Zeit gefallene Vorstellungen, was „der Steuerzahler zahlt” von den wichtigen Themen ab. Wie es aussieht, ist kein einziger Euro an Steuereinnahmen nötig, damit ein Staat Ausgaben tätigen kann. Das heißt auch, kein einziger Euro des deutschen Steuerzahlers, ist bspw. zur Bankenrettung nach Südeuropa geflossen. Über so etwas muss man sich also weniger Sorgen machen als um die Schaffung der nötigen fiskalpolitischen Werkzeuge auf EU-Ebene, die eine kontrollierte europäische Wirtschaftspolitik ermöglichen und mit denen sich potenzielle Zeitbomben entschärfen lassen.

Das grundsätzliche Ärgernis, andererseits, bei Staaten sind fehlende Bilanzen. Dadurch ist es schwierig nachzuvollziehen, welche Ausgaben nachhaltig und sinnvoll sind. Jedes größere Unternehmen erstellt eine Bilanz, weil Einnahmen und Ausgaben nicht reichen, um den Wert und die Gesundheit eines Unternehmens zu erfassen. Deswegen wird zusätzlich alles in der Bilanz erfasst, was das Unternehmen besitzt (auf der Aktivseite) und alles, was es schuldet (auf der Passivseite). Sofort lässt sich ablesen, ob bspw. ein Kredit sinnvoll ist, indem man prüft, welche Werte dadurch auf der Aktivseite entstehen.

Demgegenüber macht ein ganzer Staat wie Deutschland, mit 83 Mio. Einwohnern, nur eine Einahmen-Überschuss-Rechnung. Eine „schwarze Null” bedeutet so nichts weiter, als dass die Ausgaben nicht höher als die Einnahmen waren. Das ist nun wirklich nicht besonders aufschlussreich. Es wäre wesentlich hilfreicher transparent zu machen, ob ein Land gesund ist und gedeiht oder ob es aus der Substanz lebt, auf Kosten der nachfolgenden Generation. Die Höhe der Staatsausgaben allein sagt dazu wenig. Denn Geld scheint kein Problem zu sein (solange vom Kapitalmarkt und im Staatenvergleich die Leistungsfähigkeit des Staates an potenzieller Steuerschöpfung in Relation zu seinen Staatsschulden positiv eingeschätzt wird), aber falsche Staatsausgaben können zu einer Belastung für die Zukunft führen. Würden auch Staaten eine ordentliche Bilanz aufstellen, ließe sich das einfach erkennen.

Ein Staat hat die Aufgabe sicherzustellen, dass seine Bürger langfristig ihren Lebensstandard halten können. Werden durch die Staatsausgaben nachhaltige Werte auf der Aktivseite der Staatsbilanz geschaffen oder das Geld für Maßnahmen ausgegeben, die die Verbindlichkeiten reduzieren, dann sind auch die Schulden nachhaltig und sinnvoll. Werden hingegen hauptsächlich Konsum und Sozialleistungen finanziert, erodiert das das „Eigenkapital” des Staats, er lebt aus der Substanz. Das zieht langfristig Abwertung und Inflation nach sich.

Staatsbilanz

Die obenstehende Skizze einer ganzheitlichen Staatsbilanz zeigt die Schwierigkeit der Bilanz-Idee: es gibt für viele Positionen keinen einfach zu ermitteln-den Wert, besonders für den meist größten Posten „Potential künftiger Steuern”. (Das ist ähnlich wie das Humankapital im Privathaushalt, das dort meist das größte Vermögen ist.) Das Denken in Bilanzkategorien hilft aber bei der Frage, ob die zu beobachtenden Staatsschulden zu begrüßen oder Besorgnis erregend sind. Grundsätzlich wäre alles gut investiertes Geld, was die linke Seite der Bilanz stärkt. Dazu gehört auch, die Wirtschaft zu retten.

Letzten Monat ging es um die Frage, brauchen wir Geld und wenn ja, wo kann es herkommen? Heute war das Thema, wenn es von den Staaten kommt, welche Probleme gibt es und welchen Maßstab, ob es richtig investiert wird? Jetzt ist es spannend, zu welchen grundsätzlichen Aussagen für Anleger man mit den Ergebnissen dieser aktuellen Sichtweise zur Geldpolitik, Fiskalpolitik und zur Beurteilung von Staatsfinanzen kommt. Darum dreht es sich nächsten Monat. Dann werde ich versuchen, das zusammenzuführen.

Christian Dagg

Der größte Feind des Anlegers ist häufig der Anleger selbst. Ein unabhängiger Berater bringt den größten Nutzen, wenn er sich zwischen den Anleger und dessen schlimmste Fehlentscheidung stellen kann. Meine Beiträge sollen wie ein Filter für vernünftige Finanzentscheidungen wirken. Ich möchte belastbare Fakten und gesunden Menschenverstand im Zusammenhang mit Finanzthemen in den Vordergrund stellen und versuchen, dies so zu erklären, dass es jeder für sich einordnen kann.

Für Anregungen und Kommentare bin ich immer offen.

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